Stellungnahmen - 04.09.2009

Karl Gruber zur Minarett-Initiative

Votum von Karl Gruber (Vorstand FFI) an der Podiumsveranstaltung des Forums für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM) vom 4. September 2009 in Bern:

Was bedeutet die Minarettverbotsinitiative für die Muslime und Musliminnen in der Schweiz?

Gemäss seinen Statuten setzt sich das Forum für einen fortschrittlichen Islam ein „für einen humanen, offenen und zeitgemässen Islam, auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaats“. Und das FFI ist der festen Überzeugung, dass der Islam mit diesen Grundwerten kompatibel, d.h. vereinbar ist.

Als Mitglied des Verfassungsrates des Kantons Zürich hatte ich von 2000 bis 2005 Gelegenheit, mich in dessen Kommission „Grundrechte / Grundsätze / Sozialziele“ vertieft mit der Religionsfreiheit zu beschäftigen. Die genauere Analyse der Religionsfreiheit ergab sehr klar, dass sie nicht nur eine „interne“ Dimension beinhaltet: das Recht, eine eigene Glaubensüberzeugung zu haben und zu keiner andern gezwungen zu werden. Als ebenso wichtig erwies sich auch ihre „externe“ Dimension: das Recht, seinen Glauben gemeinsam mit andern öffentlich bekennen zu dürfen. Zu diesem Recht gehört auch der Anspruch auf sakrale Bauten und dazugehörige Symbole im öffentlichen Raum. Sämtliche Religionsgemeinschaften haben also das Recht, öffentlich (und nicht nur in Hinterhöfen!) in Erscheinung zu treten, weil sie zugleich Privatsache und öffentliche Sache sind.

Dies gilt natürlich nicht nur für Kirchen und Synagogen, sondern auch für Moscheen und andere religiöse Kultstätten. Die Moschee, wörtlich übersetzt der „Ort, an dem man zum Gebet niederfällt“, war seit frühester Zeit auch ein Ort des gemeinsamen Freitagsgebets sowie Versammlungsraum und hat damit zugleich eine individuelle und kollektive Funktion. Und zur Moschee gehören zwar nicht zwingend, aber in der Regel als baulich-religiöse Symbole ein oder mehrere Minarette. Das Minarett, das im Arabischen aus den Wörtern manara „Leuchtturm“ oder an-nur „das Licht“ abgeleitet wird, weist in seinem symbolischen Gehalt auf die Verbindung oder Vermittlung zwischen irdischer und überirdischer Realität hin.

Wer die Minarette verbieten will, wendet sich daher direkt oder indirekt gegen Grundwerte der Musliminnen und Muslime. Diese Verletzung ihrer Menschenwürde findet auch dann statt, wenn - wie man aus Studien weiss - nur 15 – 20 Prozent der Musliminnen und Muslime in der Schweiz einen orthodoxen Glauben praktizieren und regelmässig die Moschee besuchen. Ein Minarettverbot wäre Ausdruck einer zutiefst rechtsungleichen Behandlung und diskriminierenden Haltung, welche den Islam als Religion zweiter Klasse abwertet und dessen Anhänger ausgrenzt. Es würde damit den Grundsatz der Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot verletzen. Anstelle einer interreligiösen Öffnung, welche die unabdingbare Voraussetzung jeder Integration bildet, würde ein Ausschlussdenken praktiziert, das die Gesellschaft auseinanderdividiert. Es würde die Gefahr von Parallellgesellschaften verstärken, wo Misstrauen und Vorurteile gegenüber den Andersgläubigen dominieren.

Es ist aber auch aus einem andern Grunde widersinnig: Die Schweizer Gesellschaft verlangt von den Musliminnen und Muslimen einerseits zu Recht die Anerkennung der verfassungsmässigen und rechtsstaatlichen Ordnung. Dies wäre aber völlig unverhältnismässig, wenn der Schweizer Staat andererseits das Grundrecht der Religionsfreiheit für sie massiv beschneiden, ja überhaupt in Frage stellen würde. Ein Rechtsstaat ist nur so lange glaubwürdig und durchsetzbar, als Recht und Gegenrecht in einem gerechten, reziproken Verhältnis bleiben.

Dieses Verbot ist aber im Grunde auch Ausdruck einer antiislamischen Politik: Über einen Teilaspekt, „pars pro toto“, wird versucht, das Ganze - den Islam - zu bekämpfen. Sehr deutlich wird diese Haltung der Minarettgegner, wenn sie das Minarett in ihrer aggressiven Kriegssprache als „Speerspitze“ des Machtanspruchs des Islam bezeichnen. Es geht ja hier im Gegenteil um Symbole, die gerade darauf angelegt sind, die horizontale Gewalt von „Speerspitzen“ zu brechen und einen Fingerzeig übergeordneten Friedens zu setzen.

Die Islamgegner suchen die Konfrontation um jeden Preis, weil sie davon ausgehen, dass das „christliche Abendland“ - wie sie es sehen - durch die islamische Kultur und Religion - wie sie diese in ihrer verkürzten Sicht, ihrem Kurzschlussdenken wahrnehmen - in seiner Existenz gefährdet ist. Dahinter verbergen sich eigene diffuse Ängste, welche die Muslime und Musliminnen zu feindseligen Zerrbildern degradieren. Die Verbotsbefürworter verstärken damit bewusst oder unbewusst die traditionalistischen muslimischen Kreise und sogar die verschwindend kleine Minderheit von Islamisten, welche sich nichts sehnlicher wünscht als einen Kampf der Kulturen. Sie riskieren also in ihrem blinden Missionseifer, dass das Modell der interkulturellen und interreligiösen Schweiz gravierenden Schaden nimmt. Aber soweit ist es zum Glück nicht und wird es hoffentlich auch nicht kommen!

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